Rote Kreuze – oder: Die Kehrseite der Demokratisierung

geschrieben von admin am 8. April 2009
Kategorie: Aktuelles


Hallo, Bewohner eines mehr oder weniger luxuriösen Gelasses!
Wir hoffen inständig, dass wir selbst auch noch zur Gattung der Bewohnenden gehören. Ganz sicher sind wir uns jedoch nicht. Jedenfalls was unsere guineische Wohnhaftigkeit angeht.
Noch sind wir ja in Europa. Genauer gesagt: seit zwei Tagen in Frankreich, dem Land in welchem Rotwein und Sauce Bernaise fließen, und wo Käse mit reduziertem Fettgehalt unter Androhung der Todesstrafe verboten ist. Und während wir hier unseren Gaumen mit unaussprechlichen Silben malträtieren und mit unaussprechlichen Genüssen belohnen, schreitet die Demokratisierung in Guinea voran. Auf guineisch.
Beginnen wir mit der Feststellung, dass es eigentlich kein Fleckchen Erde auf unserem Planeten gibt, auf dass nicht irgendjemand Anspruch erhebt. So ist es auch in Guinea. Egal ob es sich um ein zerklüftetes Stück Felsen handelt oder um ein fruchtbares Flusstal. Irgendjemanden gehört es. Entweder den Myriaden von Diallos oder Bahs, die es vom Vater auf den Sohn vererbt haben. Oder dem guineischen Staat. Teile eben dieses Staatslandes wurden in den letzten paar Jahrzehnten gar nicht selten von bedürftigen Beamten freigiebig unter die vermögende Schar der Grundstücksuchenden verteilt. Gegen eine entsprechende Zahlung in die Aktentasche des erwähnten Beamten. Die Käufer bauten Häuser, pflanzten Bäume und zeugten Kinder… Man wohnte in den Schwarzbauten und verkaufte oder vermietete dieselben. Und alle waren zufrieden und hielten den Mund.
Bis der neue Übergangspräsident begann, den Augiasstall auszumisten. Seit ein paar Wochen touren Mitglieder der neuen Regierung, mithilfe von Polizei und Militär durch die Hauptstadt und markieren diverse Häuser mit roten Kreuzen. Den Bewohnern wird mitgeteilt, dass sie auf Staatsland wohnen und bittschön ihre Sachen packen sollten. Und ein paar Tage oder Wochen später wird demoliert. In Conakry wurden auf diese Weise schon einige illegale Sachverhalte nivelliert. Eigentlich eine gute Sache, oder?
Nur dass nicht immer die echten Bösewichter im Hause hausen. Sondern ziemlich oft unschuldige Mieter und Nachkäufer… Vor ein paar Tagen ereilte es Kollegen von uns in einer Stadt im Landesinneren. Die „Rotkreuz-Delegation“ kam, sah und markierte. Und obwohl die ausländischen Mieter schon seit Jahrzehnten in dem Haus wohnen, tausende Dollar in das Gebäude investierten und einen allerliebsten Garten mit gar wohlriechenden und üppigen Pflanzen angelegt haben, der zum Lustwandeln einlädt und jeden botanischen Garten alt aussehen lässt – sie müssen raus. Nun, die dortigen Mieter haben das „Glück“, dass sie das Land sowieso in zwei, drei Monaten verlassen wollten und ihre Rückkehr jetzt einfach vorverlegen. Schlimm genug ist es allemal…
Nach den ersten mitleidigen Gedanken für unsere Kollegen fuhr uns jedoch ein ganz persönlicher Schreck in die Glieder. WIR wollen ja wieder zurück. Und unser gemietetes Wohnhaus mitsamt den Möbeln steht ganz allein in Télimélé herum und fürchtet sich gar sehre. Im Geiste wogen wir die moralischen Tugenden unseres persönlichen Vermieters ab. Und wenn es auch zu rabiat scheint, ihm einen Anhänger mit den Worten „Mene, mene, tekel upharsin“*) ans Revers zu heften – er ist vom Charakter her ein guter Anwärter auf ein paar rote Kreuze.
Jedenfalls ein echter Anlass, mal wieder in Télimélé anzurufen. Bevor dort irgendjemand Tabula rasa macht…

Viele Grüße! Romy und Heiko

*) „Mene, mene, tekel upharsin“ – wörtlich: Mine, Mine, Schekel und Halbminen. Diese Worte sind gleichzeitig von Tätigkeitswörtern abgeleitet und können heißen: Gezählt, gezählt, gewogen und zerteilt. Oder wie Daniel so vorausschauend deutete: „Tekel bedeutet: gewogen und zu leicht befunden“… Das Alte Testament, Buch Daniel, Kapitel 5, Vers 25

Kommentare geschlossen.