Der erste neue Mann

geschrieben von admin am 10. Juni 2008
Kategorie: Aktuelles


Alles begann letzte Woche mit einer Beerdigung, bei der ich einer der Sargträger war (mal davon abgesehen, dass es hierzulande keine Särge gibt,
sondern die Toten nur in eine Stoffbahn eingerollt werden). Der Verstorbene war unser Freund Janbalu. Eigentlich ist es ein bisschen dick aufgetragen, ihn unseren Freund zu nennen. Wir wohnten knapp drei Jahre lang als Nachbarn im Dorf.
Er war in vieler Hinsicht ein Unikat. Natürlich ist jeder von uns einzigartig, aber Janbalu schien mir immer noch einzigartiger zu sein, einer der besonders von Gott Geliebten. Dabei war sein Leben alles andere als einfach.
Seine Eltern waren – soweit man so etwas festmachen kann – die ersten Christen unter den Fulbhe. Weshalb er der erste Pulo war, der in zweiter Generation dem christlichen Glauben folgte.
Was ihn nicht daran hinderte, als junger Mann auf die schiefe Bahn zu kommen. In der wilden Zeit unter dem Diktator Sekou Touré „arbeitete“ er als Dieb. Allerdings war er Dilettant und wurde mit einem Schwarzweißfernseher in den Händen ertappt. Und in das berüchtigtste Gefängnis Guineas gesteckt.
Zu jener Zeit verließen – auch wenn das kaum glaublich ist – ein Drittel der Bevölkerung das Land über die grüne Grenze. Janbalu war nicht so glücklich.
In dem Knast wurde er gefoltert und beinahe zu Tode gehungert. Zwei oder drei Jahre lang. Eines Tages schaffte er es mit dem Mut der Verzweiflung über die Gefängnismauern zu klettern und zu fliehen…
Bevor er hinter Gitter kam, war er ein recht intelligenter junger Mann.
Danach war er gebrochen. Geistig auf dem Niveau eines Kindes. Seine saubere Handschrift und die guten Französischkenntnisse gaben weiterhin Zeugnis von seiner ehemaligen Bildung.
Es gibt tausende Geschichten über ihn zu erzählen. Wie er als Wächter für ein Grundstück angestellt war. Allerdings bewachte er es so gut, dass der Besitzer, als er nach ein paar Monaten in jener Stadt vorbeikam, aus den Latschen kippte. Auf seinem Grundstück hatten mutige Leute währenddessen ein Haus gebaut, trotz oder gerade wegen Janbalus Aufpasserdiensten…
Aus diesen Gründen wurde er nach Jahren ähnlicher Erlebnisse zu uns aufs Dorf geschickt, die Leute hofften, er würde hier ein besseres Leben finden.
Er hatte eine kleine Hütte, drei mal drei Meter, ein Holzfenster, eine Tür.
Mitten auf dem felsigsten und unfruchtbarsten Stück Land, das Péguéty zu bieten hatte. Was ihn nicht davon abhielt, die Erde umzupflügen und Maniok zu stecken. Leider ohne Erfolg.
Sein Leben schien – und ich betone: „schien“ – eine Aneinanderreihung von Misserfolgen zu sein. Aber im Gegensatz zu den meisten Menschen, die ich kenne, lebte er glücklich und mit einem wahrhaft kindlichen Gottvertrauen.
Die Schwere des Erdenlebens kratzte ihn nicht mehr. Sein bester Freund war unser Hund, der sich ziemlich oft bei uns abmeldete und mit Janbalu durch die Gegend marschierte. Sogar, als wir schon nach Télimélé umgezogen waren,
entwischte uns der Kläffer und blieb drei Tage verschwunden. Er war die 17 km bis ins Dorf getrottet und hatte Urlaub bei Janbalu gemacht…
Und dann wurde der fröhliche Mann eines Tages krank. Nichts Schlimmes,
dachten seine Nachbarn, eine gewöhnliche Malaria… Gott hatte andere Pläne und holte Janbalu nach zweieinhalb Tagen zu sich.
Und trotzdem blieb er der erste Mann. Weil er als erster Christ im Dorf gestorben war – und die Muslime den Christen ihren Friedhof verweigern,
wurde für ihn ein neuer Begräbnisplatz eingeweiht. Mitten in der Pampa auf einem Hügel, umgeben von grasenden Schafen, fand die Beerdigung statt.
Er ist dort angekommen, wo ihm sein Freund und Herr schon lange eine Wohnung vorbereitet hat. Ich freu mich drauf, Janbalu eines Tages – in hoffentlich noch weiter Ferne – dort zu treffen, mit ihm eine Tasse Ataya zu schlürfen und ihn zu erleben, wie er von Gott gemeint war.

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