On Air! – oder: Viele Direktoren verderben den Brei.

geschrieben von admin am 10. Mai 2008
Kategorie: Aktuelles


Berüchtigt aus Rundfunk und Fernsehen
Es gibt Menschen, die traditionelle guineische Musik lieben. Es gibt auch Leute, die Pommes Frites mit Schlagsahne mögen. Während ich mich für das Letztere durchaus erwärmen kann, sind sämtliche meiner Traditionsmusik-Gene verkümmert. Besonders, weil die aktuell im guineischen Radio dudelnden Hits so viel mit echter Volksmusik zu tun haben, wie die „Echt Mittelsüdwestfriesischen Holzfäller-Bass-Bumm–Buam“ mit „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“.

Das Szenario des durchschnittlichen guineischen Videoclips ist folgendes:

Ein jugendlicher Sänger mit Bierbauch und massiver Goldkette, ungefähr Mitte 50, hebt beschwörend die Hände zum Himmel, während er vor einem möglichst dicken Auto (je nach Einkommen: Mercedes Benz, Humvee oder wenigstens ein gemieteter Peugeot) mit Falsettstimme die Liebe seiner Mutter beschwört.
Natürlich eine halbe Sekunde zeitversetzt zum Playback (kleiner Einschub für alle für die Reinheit der deutschen Sprache Eintretenden: Das Wort „Playback“ signifiziert eine synchrone Bildaufnahme zu einer bereits vorliegenden Tonaufzeichnung. Und hat keine deutsche Entsprechung. Außer das kurze und griffige „synchrone Bildaufnahme zu einer bereits vorliegenden Tonaufzeichnung“). Schnitt zu seiner Tanzgruppe (jeder Sänger hat eine!) bestehend aus mindestens drei Tänzerinnen, die in einem nicht näher bezeichneten Wohnzimmer vor der kunstledernen Couchgarnitur ihre Kehrseiten schütteln, als hätten sie sich gerade eben in einen Ameisenhaufen gesetzt.

Anstelle einer Couchgarnitur kann auch der leere Swimmingpool eines Hotels als Hintergrund genutzt werden. Hauptsache, die Szenerie verkörpert Reichtum, Kleinbürgerlichkeit und Kitschmacklosigkeit.

… Aber wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Und als edukative Videoproduzenten sitzen auch wir mit unserem Studienzentrum im Boot der dilettantischen Filmmanufakturisten. In unserem Videoclip wurde ebenfalls getanzt, Text vergessen und Bild verwackelt.
Inhaltlich jedoch ging das Projekt über das durchschnittliche „Herzilein“-Gesumse hinaus. Und das war der Grund, weshalb wir in der vergangenen Woche unser Video in der Hauptstadt promoteten (ich habe nachgeschaut. Das Wort steht im Duden!)
Unsere wohlüberlegte Strategie war folgende: Wir schrieben einen Brief an den Boss der Bosse: an den Generaldirektor der Staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt. Zu diesem Anschreiben packten wir eine DVD und fuhren uneingeladen an einem Samstag zum Funkhaus.
Man stelle sich vor, eine Garagenband in Deutschland würde ein Band aufnehmen und mit selbigem ohne Anmeldung beim Intendanten der ARD auftauchen. Ziemlich sicher würden die Helden schon am Pförtner scheitern.
Nicht in Guinea!

Nun, man muss erklärend einschieben, dass unser Besuch von zwei Dutzend betender Zeitgenossen unterstützt wurde. Und himmlische Intervention ist und bleibt der beste Türöffner.

Ich zweifelnder Thomas war trotzdem überrascht, als wir einfach durchs vom Sicherheitsdienst bewachte Tor hindurchgewinkt wurden, ohne auch nur nach unserem Anliegen gefragt worden zu sein. Meine Hoffnung war, unser Video im richtigen Büro einer hoffentlich fähigen Sekretärin in die Hand zu drücken…
Aber auch das guineische Fernsehen arbeitet – logischerweise – guineisch.
Will sagen: die Verantwortlichen saßen nicht in ihren Büros hinterm Schreibtisch, sondern glänzten entweder durch vollständige Abwesenheit oder residierten auf der Freitreppe des imposanten, von chinesischen Klassenkämpfern erbauten Funkhauses und schwafelten über die politische Großwetterlage. Jenes Funkhauses, das vor nicht allzu langer Zeit eine MIG aufs Dach bekommen hatte und in der viele fleißige Chinesen damit beschäftigt sind, in die Kommunikation der amerikanischen Botschaft auf der anderen Straßenseite hineinzuhören.
Wir stellten uns dem versammelten Management auf der Treppe vor und wedelten mit unserem Brief vor ihren Nasen herum. An diesem Punkt stellte sich heraus, dass der oberste Generaldirektor gar nicht da war. Schließlich war Wochenende! Da aber sein Name auf dem Briefumschlag draufstand, durfte er nur ihm übergeben werden.
Immerhin waren der Direktor fürs staatliche Radio und der fürs Fernsehen,
also die linke und rechte Hand, zur Stelle. Und weil wir schon mal da waren,
hielten wir höfliche Konversation und bekamen die 50-Cent-Tour durchs Gebäude. Der Fernsehdirektor (die rechte Hand) stürmte mit uns im Schlepptau ins Aufnahmestudio, obwohl über der Tür das berühmte „On Air“ warnend blinkte.
Natürlich. Falscher Alarm. Die rote Lampe leuchtet nur, weil sie es konnte.
Denn in Guinea wird nicht live gesendet. Das wäre doch zu unvorhersehbar!
Der nächste Fettnapf wartete, als uns die guineische Miss Tagesthemen mit den Worten vorgestellt wurde: „Kennt Ihr diese Frau?“ – und Romy wahrheitsgemäß antwortete: „Nein.“ Wir kamen halt aus der Provinz…

Nach einer Stunde Palaverns bekamen wir einen Termin für den kommenden Montagvormittag. Eigentlich hätten wir unseren Brief bis dahin gern wieder mitgenommen. Doch die versammelte Direktorenschaft wollte es anders. Ganz offiziell und unter Zeugen wurde unser Umschlag der obersten Schublade des Radiodirektors (der linken Hand) anvertraut. Niemand Unberufenes, so wurde uns versichert, würde es wagen, seine Finger auf den Umschlag zu legen.

Am Montag stellte sich heraus, dass auch die Berufenen damit Schwierigkeiten hatten. Ich war pünktlich fünf vor zehn angekommen. Romy wartete im Auto, da sie wenig Lust auf noch mehr Salbaderei hatte.
Von einer freundlichen Seele wurde ich ins Vorzimmer des Generaldirektors (G.D.) geleitet. Wo ich den Fernsehdirektor (F.D.) fand.
Der strahlte mich an, und fragte: „Wo ist die DVD?“ Ich strahlte zurück und verwies darauf, dass er selbst sie vor zwei Tagen der Schublade seines Kollegen überantwortet hatte.
Daraufhin strahlte er nur noch mit halber Kraft. Denn wieder einmal wusste die rechte Hand nicht, was die linke tut. Will sagen, der Radiomann war nicht da. Und die Tür seines Büros war verschlossen.
Justament in diesem Augenblick öffnete der G.D. seine Tür, erblickte mich und grüßte. Es war auch der Moment, in dem mich der F.D. wieder auf den Gang hinausschob, etwas von „sofort, gleich!“ murmelte und sich auf den Weg in sein Büro machte. Dort setzten wir uns nieder und starrten uns ratlos an.

Und zwar eine Stunde. In dieser Zeit sandte der G.D. dreimal seinen Laufburschen zu uns: „Wo bleibt ihr?“. Beim ersten Mal – ich traute meinen Ohren nicht – sagte der Fernsehmann tatsächlich: „Die Gattin unseres ausländischen Freundes ist noch mit der DVD auf dem Weg.“ Nur gut, dass es in unserem Videoclip um Ehrlichkeit geht…
Ich deutete dies an. Weshalb bei den Nachfragen 2 und 3 die Wahrheit für den G.D. nachgeliefert wurde. Irgendwann kam dann auch der R.D. an.

Wie üblich verlor er kein Wort der Entschuldigung (das gehört sich nicht).
Sondern plauschte erstmal mit seinem Kollegen, regelte zwei kleinere Affären, empfing drei Anrufe. Irgendwann kam ihm auch die Idee, mir den Umschlag in die Hand zu drücken. Weshalb ich, schon gegen elf, im Büro des televisionären Oberbosses saß.

Ob der Clip jetzt „on air“ geht? Wir werden sehen. Will sagen: In Télimélé werden wir es sicher nicht sehen. Denn hier ist der Empfang seit einem Jahr gestört.

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