Mach den Diallo!

geschrieben von admin am 1. Februar 2008
Kategorie: Aktuelles


Ist es nicht weise eingerichtet, wie wir mit unseren Aufgaben wachsen? Romy zum Beispiel wird eines Tages noch einmal als Schlichter bei der UNO anfangen, so praxisnah wie sie hier regelmäßig die handgreiflichen Auseinandersetzungen im Center zwischen den Teens beilegt. Meine Wenigkeit versucht mit wachsender Begeisterung Autorität in die Waagschale zu werfen.
Manchmal jedenfalls. Gestern war wieder so ein Tag… Im Allgemeinen handelt es sich nur darum, den tapferen Studierenden an den Rechnern klarzumachen, dass man Wünsche mit „Bitte“ (und nicht mit „Heiko,
hierher!“) formuliert, keine Getränke über die Computer gießt und mit Kopfhörern auf den Ohren nicht plötzlich unartikuliert zu brüllen beginnt oder den Raum verlässt (auch eine Art, den Laptop mitzunehmen).
Allerdings haben wir auch einen nicht zu kleinen Lesebereich mit ein paar hundert Bänden. Zwar wird normalerweise nur „sur place“ im Center gelesen.
Auf Nachfrage leihen wir aber auch Bücher für ein, zwei Tage aus. Wenn man sich ordentlich in eine Liste einträgt. Weil sich etliche Bücher schon in Wohlgefallen aufgelöst haben und ihr Dasein in neuen Händen wahrscheinlich als Feueranzünder fristen.
Einer meiner frischesten Studenten (und das ist leider nur im zeitlichen Sinne gemeint) ist ein Chemielehrer am hiesigen Collège. Eigentlich ein intelligenter und zurückhaltender junger Mann. Nach eigener Aussage war es diese Zurückhaltung, die ihn dazu bewog, sich allmorgendlich mit einem Bier „lockerzumachen“ ehe er den Klassenraum betrat. Und natürlich braucht man irgendwann mehr und kontinuierlicher den Stoff, der locker macht. Weshalb er heute ein ausgewachsener Alkoholiker ist. Einer dieser unanonymen muslimischen Abhängigen, von denen jeder weiß, aber keiner offen spricht.
Die Gesellschaft verschließt die Augen. Und vor allem die Nase.
Im Center absolviert der Mann gerade einen Computerkurs der Peinlichkeiten.
Immer suuuuper gut gelaunt und gut geladen. Und deshalb meist voll daneben.
Ein wenig atmete ich gestern auf, als der Lehrer voll falschem Schwung seinen Arbeitsplatz verließ. Bis mich plötzlich ein Zwölfjähriger am T-Shirt zupfte und sagte: „Hakiim, der Mann hat gerade ein Buch mitgenommen. Darf er das?“ Nee. Durfte er nicht. Am liebsten hätte ich ihn einfach gehen lassen. Schade ums Buch. Aber dann überwog die Verantwortung. Also spurtete ich los.
Glücklicherweise ist der Vermieter unseres Centers auch gleichzeitig der Schuldirektor des téliméléschen Collèges. Und somit der Boss des Chemikers.
Zufällig stand der gerade mit seinem Radio am Ohr vor der Tür. Nach zwei Worten hatte er schon verstanden, woher der Wind wehte und machte sich mit mir auf die Verfolgung.
Ausgerechnet vorm hiesigen Polizeirevier trafen wir den Bucheinstecker mit den Händen unter der Jacke. Und im Gespräch mit dem Polizeichef. Mir fehlten die Worte. Jedenfalls die richtigen. Mein Freund, der Direktor, hatte sie:
„Bist Du heute ein Diallo?“ fragte er (den völlig anders heißenden) Lehrer freundlich grinsend.
Einer dieser lokalen Witze. Den Diallos, einer der größten Fulbhefamilien,
wird alles Mögliche unterstellt: Arbeitsscheu, Völlerei. Und Diebstahl. Der Direktor musste nicht weiter elaborieren. Mit einem scheuen Grienen zog der Ertappte den Band unter der Jacke hervor und stammelte darüber, wie gern er lesen würde. Ich gratulierte ihm dazu und notierte den Titel des Buches.
Worauf er, mit gewahrtem Gesicht, seines Wegs zog.
Der Schuldirektor meinte: „Wäre doch schade gewesen, wenn das Buch in der nächsten Bar liegen bleiben würde. Jetzt haben wir die Garantie, dass es nächste Woche zurückkommt.“ Der Titel des Buches war übrigens: „Vom Wesen Gottes.“ Über seine Gerechtigkeit. Und seine Vergebungsbereitschaft. Immer gewillt, einen neuen Anfang zu gewähren. Ob so ein Wunder auch für unsern Chemielehrer möglich wäre?

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