Partnerlook – oder: Die Angst, zu kurz zu kommen

geschrieben von admin am 27. Mai 2007
Kategorie: Aktuelles


Was waren das noch für Zeiten, als modisch bewusste Pärchen sich türkisfarbene Jogginganzüge im Partnerlook kauften. Und gleichfarbige Sportschuhe mit Klettverschluss. Und zwei rot-weiß gestreifte Frotteestirnbänder. Schon aus hundert Meter Entfernung wurde dem arglosen Beobachter der Eindruck ins Kleinhirn gestampft: Die haben etwas gemeinsam. Dieses ästhetische Prinzip der identischen Erscheinung existiert auch in Afrika. Noch viel konzentrierter! Wer etwas auf sich hält, erscheint zu einer Feierlichkeit als analog gemusterter Block. Die ganze Sippschaft kauft zwanzig Kilometer maschinell bedrucktes chinesisches Tuch und lässt ihren Vertrauensschneider anschließend die Nacht zum Tage machen. Ganz egal ob es sich um eine Hochzeit oder eine Namensgebungszeremonie handelt. Wahrscheinlich würden sich die Leute auch zu einer Beerdigung identisch kleiden. Doch sooo schnell sind die Schneider nicht. Ich gestehe, dass auch wir Weißen schon – hübsch hässlich – in einer Reihe mit 25 anderen Gleichgekleideten herumstanden. Eine der eher uniformeren Erfahrungen eines individualistischen Lebens. Aber wenn’s den Leuten halt gefällt…

Unser letzte Gleichschnitt-Erfahrung begann, als wir im Studienzentrum mit unseren beiden Englisch-Klassen ein Lied einübten. Auf Englisch, oder was man hier so darunter versteht (nämlich nicht viel). Die Aussprachedefizite wurden durch den Singeifer mehr als wettgemacht. Als wir verkündeten, dass wir den Télimélé-Song aufnehmen und arrangieren würden, gab es erste Hochrufe. Und als zu guter Letzt noch die beglückende Neuigkeit eines Musikvideos durchsickerte, gab es bei unseren Studenten kein Halten mehr. 18 mehr oder weniger musikalische Teenager wollten gleich gezwirnt vor der Kamera moonwalken.
Wir waren von den Couturier-Plänen nicht allzu begeistert. Eine Nebenwirkung der gleichbedruckten Glückseligkeit manifestierte sich nämlich in 90% der Fälle in finanzieller Ungleichheit. Doch auf der anderen Seite war es für die Gruppe eine Chance, Verantwortung zu übernehmen.
Da die neun Jünglinge zu sehr damit beschäftigt waren, mit den Händen lustige Geräusche zu machen, wurde die Verantwortung den neun Maiden überlassen. Die legten einen Stoffeinkaufs- und Schneiderpreis fest, sammelten das Geld ein und kauften das Tuch. Leider hatten die Mädels sich beim Stoffhändler verantwortlich verkalkuliert und etliche Bahnen zu viel eingekauft. Das Geld fehlte nun an der Schneiderei. Aber diese Problem konnte nach einer orkanähnlichen gruppendynamischen Diskussion durch schlaue Umschichtung und Heimarbeitsnähen wieder in Ordnung gebracht werden.
Wenigstens hatten wir genug Gewebe. Was tun damit? In einem Anfall von Güte bekamen nun sogar die drei Kleinsten Eins-Fünfzehn-Hünen pro Person nicht nur eine, sondern zwei Stoffbahnen. Um die noch fehlende Körpergröße durch ein umso prächtigeres Gewand zu kompensieren. Die Stoffe wurden verteilt, im Center abgelegt; und jeder vergnügte sich für den Rest des Nachmittags mit dem Computer, dem Englischkurs, einem Buch oder dem Jenga-Turm.
Am Abend war das Geschrei umso größer, als sich die zwei Stoffbahnen eines Knirpses in Wohlgefallen aufgelöst hatten – auch in unserem Wertevermittelnden Center wird alles geklaut, was nicht festgenagelt ist oder weniger als einen Zentner wiegt.
Romy hatte eine ganz logische Idee: Schließlich gab’s noch zwei andere Bonsai-Knaben, die eigentlich nur eine Stoffbahn für ihre Gewandung brauchten. Sicherlich würde einer von beiden so edel und gut sein, die unverdiente und nicht bezahlte Stoffbahn für seinen armen Kameraden abzugeben. Dachte Romy.
Es folgte eine weitere gruppendynamische Diskussion, die locker mit dem Ausbruch des Mount Saint Helens konkurrieren konnte. Nachdem Romy genau zehnmal anhub, die Lage zu beruhigen und genau zehn Mal nichts damit erreichte, schloss sie parforce die Diskussion und das Center. Und ließ einen Haufen schreiender Teenager zurück. Sie war durchaus ein wenig enttäuscht, dass die Versuche, ein Problem gemeinschaftlich zu lösen, in akusto-brachialen Sturzwellen geendet hatten. Um selbst ein wenig runterzukommen, schnappten wir uns den Hund, und machten uns auf die allabendliche Tour durch die Wildnis hinterm Haus. Wo das Telefon klingelte. Die Mädels hatten sich zu einer Telefonkonferenz getroffen, um sich für das Ende des Abends zu entschuldigen. Wow. Das war genauso überraschend wie wohltuend. Zwei Minuten später kamen wir wieder an unserem Haus an, nur um die Gruppe der Jungs vorzufinden, die per Pedes die drei Kilometer aus der Stadt gekommen waren, um sich ebenso für ihren Ausbruch zu entschuldigen. Nachdem wir sie mit Saft abgefüllt und zurückchauffiert hatten, stand einem wahrhaft friedlichem Abend nichts mehr im Weg.
Am nächsten Tag sollte dann die Lösung des eigentlich nicht vorhandenen Stoffmangelproblems gefunden werden. Gemeinsam. Einstimmig.
Einer der kleinen Stoffmogule meldete sich zu Wort.
„Ich möchte mich entschuldigen für das was ich gestern gesagt habe. Das war nicht richtig!“ Eine warme Welle des Verständnisses brandete ihm entgegen.
„Und, wirst Du jetzt Deinen Stoff teilen?“ „Nee. Hab mich doch entschuldigt!“ Die warme Welle verebbte.
Der zweite Stoffbesitzer wurde gefragt:
„Und Du! Hast Du in Dein Herz gehört?“ „Ja!“ „Wirst Du den Stoff teilen?“ “ – -“ Beredtes Schweigen.
Weshalb der Rest der Gruppe dann gemeinsam(!) und einstimmig(!) beschloss, dass zwei große Burschen den ersten der beiden Mikrohelden an den Ohrläppchen packen, mit ihm und dem Stofflosen zum Schneider gehen, und für beide je ein Kostüm abmessen würden.
Mit Tränen in den Augen (ob wegen des Stoffverlustes oder des Ohrläppchens, war nicht ganz klar) akzeptierte der Entschuldiger.
Der zweite Gebeunwillige wurde zur Bezahlung der zweiten Stoffbahn verurteilt. Das so eingenommene Geld wanderte in die Schneiderkasse.
Es tut soooo gut, wenn die Güte, wenn auch wider Willen, triumphiert. Und wenn der Gerechtigkeit (beinahe) freiwillig Genüge getan wird.
Für uns war es eine weiter Lektion in Sachen „Wie gut ist der Mensch wirklich?“ Denn wider besseres Wissen feiern die Gutmenschen weiterhin ein Fest des Irrealen, schreiben sich die Humanisten dieser und vergangener Tage über die Güte des Menschen in Tränen, träumen Marx und Co vom kommunistischen Himmel, in dem es kein Geld mehr gibt und jeder nur das aus den Geschäften nimmt, was er wirklich braucht, schwelgen die modernen Theologen in einer philanthropisch entsündigten Scheinwelt und Grönemeyer trällert immer noch davon, wie super es doch wäre, wenn die „Kinder an die Macht“ kämen. (Hab ich in diesem undifferenzierten Rundumschlag jemanden vergessen? Das täte mir leid!) Und dann kommt die Realität und zeigt, dass alle, die Großen und die Kleinen, an den Maßstäben des unbestechlich Guten scheitern.
Und sei es nur aus Angst zu kurz zu kommen. Ein viel älterer Songwriter als Gröni, nämlich David, hat die Wahrheit aufgeschrieben:
„…da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.“ Autsch.
Oder anders gesagt: Unsere Arme sind zu kurz, um mit Gott zu boxen. Und warum sollten wir auch, wo es eine viel stärkere Möglichkeit gibt: Nämlich, mein zu-kurz-Kommen an den ewigen Maßstäben nicht zu entschuldigen oder zu kaschieren, sondern auf das Prinzip der Vergebung zu setzen. Sehr befreiend.
Wir haben uns im Center darauf einigen können, dass keiner von uns „der Gute“ ist, sondern, dass wir uns gegenseitig tragen und nicht zu selten auch ertragen müssen. Schon allein aus diesem Grund war das Projekt ein echter Erfolg.
Und außerdem haben wir ein wahrhaft unbeschreibliches Video gedreht. Im Partnerlook.

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