Der Club der eitlen Dichter

geschrieben von admin am 15. April 2011
Kategorie: Aktuelles


Darf ich die Aufmerksamkeit der werten Leserschaft dieser Zeilen auf ein unscheinbares Wunderwerk der Technik richten, dem nichtsdestotrotz oder gerade deshalb beinahe die gesamte télimélésche Weltöffentlichkeit zu Füßen liegt?

Das Gerät, um das es geht, wird in der Stadt öfter nachgefragt, als die Top-Ten auf Youtube. Sein Wert wird höher eingeschätzt als die Erfindung des Buchdruck. Es ist ungefährlicher als die Spaltung des Atoms, leiser als ein Benzingenerator, kleiner als ein Moped und – – – es steht in unserem Studienzentrum. Um die Spannung nicht unnötig weiter zu steigern, lüfte ich hiermit das Geheimnis: Ich spreche von einem Laminiergerät, hierzulande liebevoll „Plastifikateur“ genannt. Wir nutzen das Gerät, um die Center-Mitgliedskarten Fettfleckresistent und witterungsbeständig zu versiegeln.

Ziemlich genau zu Beginn der großen Plastifikation wurde im Lycée (dem hiesigen Gymnasium) ein Literaturklub gegründet. Ich war begeistert: Endlich ein paar junge Leute, die mit selbst geschmiedeten Versen auf die städtischen Missstände hinweisen würden. Endlich ein paar Enthusiasten, die gemeinsam Werke der Weltliteratur diskutieren würden. Oder wenigstens Asterix lesen. Ich jubilierte. Damals.
Heute überlege ich, ob der Klub nicht nur wegen dem Laminiergerät gegründet wurde. Denn zuallererst wurde nicht Balzac, Molière oder Verne herausgekramt. Zuallererst kamen die jungen Wilden zu mir: „Wir brauchen Abzeichen!“

Nun gut. Sollten sie Abzeichen haben. Es ist nicht ihre Schuld – der Uniformitätsvirus grassiert in ganz Guinea. Jeder, der auch nur ein Fünkchen Selbstwertgefühl besitzt, laminiert sich seinen persönlichen „Badge“ (sprich Bädddschhhhhhh). Eine Art Pappkarton in Aspik, mit dem eigenen Foto und einem möglichst wichtig aussehendem Logo.
Aufgewertet wird der Badge mit einem Geburtsdatum (welches nicht zwangsläufig das eigene sein muss), ein bis fünf Unterschriften, sieben Stempeln und der guineischen Flagge. Nicht zu vergessen, mit dem eigenen Status. Denn niemand ist einfach nur „Mitglied“. Genauso gut könnte man auch „Ausgestoßener“ auf die Karte schreiben. Wenn man es nicht bis zum Präsidenten geschafft hat, dann sollte man wenigsten Generalsekretär sein. Oder wahlweise Sekretär für äußere Angelegenheiten, Organisation oder Sandwichbesorgung.
Ich verachte nichtssagende Titel. Gleichzeitig aber wollte ich die jungen Lyriker nicht entmutigen. Also entwarf ich für die dreiundzwanzig fantasiebetitelten Gründungsmitglieder ein eigenes literarisches Logo, fotografierte sie, erfand Geburtsdaten, hielt ihre Titel fest (einundzwanzig präsidiale Sekretäre und ZWEI popelige Mitglieder) und laminierte sie (bzw. ihre Karten).

Dann wartete ich. Auf ein Gedicht, eine Buchbesprechung. Irgendwas. Ein selbstgeschriebener Einkaufszettel hätte es auch schon getan. Ich wartete vergebens. Sicherlich, man traf sich zu Sitzungen. Doch auf denen wurden nur weitere Mitglieder geworben und weitere Titel erfunden (Sekretär für Sekretariatsangelegenheiten, Abwasser und Entwicklung). Ungefähr alle zwei Tage kommen ein bis zwei neu geworbene Mitglieder bei uns vorbei und reklamieren ihre Mitgliedsprämie – ihren Badge.

Mittlerweile wurden in zwei umliegenden Dorfschulen (unter anderem in dem Etablissement, in dem Romy unterrichtet) Unterabteilungen des Literaturklubs gegründet. Die durften übrigens KEINE Präsidenten haben. Sondern nur Außenstellenchefs – oder auf französisch „Chef d’antenne“. Was ein lahmer Titel wäre. Wenn da nicht die laminierten Badges wären.

Darf ich mit einer persönlichen Note enden: Im zarten Alter von siebeneinhalb Jahren war ich Mitglied einer Bande. Wir hatten einen Geheimtreff, eine Geheimschrift, ein Geheimzeichen, einen Geheimgruß und führten geheime Aktionen durch. So geheim, dass keines der Mitglieder wusste, was wir eigentlich taten. Bei Tageslicht betrachtet taten wir nicht viel, außer in den Schulpausen über das Tun unserer Bande zu beraten.
Aber Badges … Badges hatten wir damals nicht. Wie erbarmungswürdig!

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